Aleksandra Domanovic

From yu to me

Monumentalität und Nationale Identität – auch über Landesgrenzen hinaus – spielen eine bedeutende Rolle in der Arbeit Aleksandra Domanović’, die sich zum großen Teil im Internet ansiedelt und dies auch thematisiert. From yu to me, der Titel der Ausstellung Domanović ’ in der Kunsthalle Basel beschreibt die Auflösung des ehemaligen Jugoslawischen Staates. Die Abschaltung der internationalen, länderspezifischen Top-Level Domäne .yu (die internationale Internet-Länderkennung Jugoslawiens) 2010 kann als letzter Schritt der symbolischen Eliminierung des Jugoslawischen Staates gesehen werden. Die nationale Identität wird aus dem Internet verbannt und neue Identitäten entstehen. Die Teilstaaten werden souverän und bekommen ihre eigene Präsenz innerhalb der Online-Welt. Montenegro wird mit der .me-Domain registriert und so auch virtuell als Staat neu begründet. Domanović nimmt wiederholt Bezug zu dieser politischen Dimension des Internets im Zusammenhang mit der Geschichte Jugoslawiens.

Darüber hinaus beschäftigt sie sich auch mit den weniger direkten Auswirkungen der Auflösung des Jugoslawischen Staates. Sie arbeitet mit Artefakten, die grenzübergreifend in allen Teilen der ehemaligen Republik gleichermaßen zu finden sind. Diese spielen eine wichtige Rolle in der kollektiven Erinnerung an den Staat und sind ein Phänomen innerhalb dieses politischen Gefüges. Domanović’ Haltung bleibt jedoch stets eine unpolitische, subjektive, von Erinnerungen an ihre Kindheit geprägte.
1981 im ehemaligen Jugoslawien geboren, zog Aleksandra Domanović nach ihrem Studium in Ljubljana und Wien nach Berlin, wo sie lebt und arbeitet. Ein Besuch ihrer Website aleksandradomanovic.com ist jedoch hinsichtlich der Distribution von Informationen, Referenzen und kritischen Auseinandersetzungen weitaus lohnenswerter und informativer als der ihres Berliner Ateliers. Domanović bedient sich als Künstlerin nämlich vor allem der digitalen Medien, die sie für ihre Arbeit zitiert, verändert und archiviert. Der mit drei Kollegen betriebene, bilddominierte Blog vvork.com ist nur ein Beispiel dafür, wie sich Domanović als Vermittlerin positioniert und dieses digitale Archiv von Kunstwerken als visuelles Material nutzt.

In der Ausstellung Domanović’ sind neue Werke neben Weiterentwicklungen bisheriger Arbeiten zu sehen. Die paper-stacks sind gestapelte A4 oder A3 Papier-Stelen, die, nur am Rand bedruckt, je eine die Skulptur umlaufende Fotografie zeigen. Die Frage nach Monumentalität spielt für die paper-stacks ebenso eine Rolle wie die Frage der plastischen Sichtbarmachung von Inhalten aus dem Internet. Mit den stacks bearbeitet Domanović unterschiedliche Sachverhalte, die sich kategorisieren lassen. Es ist wichtiger Bestandteil der Arbeit, dass eine spezifische Stele einer Gruppe nicht nur physisch in der Ausstellung präsentiert wird, sondern auch im Internet heruntergeladen und ausgedruckt werden kann. Bilder von Hooligans bei Fußball-Turnieren werden ebenso thematisiert wie der Verfall des ehemaligen Hotels Marina Lučica an der kroatischen Küste. Diese können als Symbole des Prozesses der Auflösung des Staatengebildes Ex-Jugoslawiens interpretiert werden. Ein stack, der ein Bild des Nationalparks Plitvicer Seen zeigt, ein UNESCO-Weltnaturerbe, verstärkt den Bezug zu der Region und fungiert ebenso als persönliche Referenz. Domanović war selbst in diesem Park, ein Jahr vor dem bewaffneten Zwischenfall 1991 bei den Plitvicer Seen, der als Auslöser des Kroatien-Krieges galt. Dennoch galt dieses Naturerbe als einer der größten Touristenattraktionen des ehemaligen Jugoslawiens und ist als dieses in der kollektiven Erinnerung verankert.

Mit der Video-Arbeit 19:30 bezieht sich Domanović auf eine Gemeinschaftserfahrung der Bevölkerung Ex-Jugoslawiens. Um 19.30 Uhr wurden im Jugoslawischen Fernsehen landesweit die Nachrichten gesendet und zu diesem Zeitpunkt versammelte man sich im ganzen Land vor dem Fernseher, einem „Ort“ des öffentlichen Lebens. 19:30 ist eine Zusammenstellung der musikalischen Intros der Nachrichtensendung und deren Veränderung im Laufe der Jahre. Gleichzeitig kombiniert Domanović die Jingles mit in Auftrag gegebenen Remixen und verweist damit auf das Aufkommen der Techno-Kultur. Bei dieser handelt es sich um eine Musikrichtung, die national nicht zu verorten ist, sondern über Landesgrenzen hinweg eine ganze Jugendkultur begründet hat. Auf diese Weise hebt Domanović hervor wie sich Gemeinschaftserfahrungen konstituieren und verändern können, vor allem mittels des Internets. Die Arbeit umspannt die Erinnerung von Momenten vor dem Fernseher bis hin zu denen von Partyabenden. Das Format von 19:30 funktioniert auf Parties, als Teil von DJ- und Video-Sets ebenso, wie als 2-Kanal-Video in Ausstellungen.

Kollektive Erfahrung spielt auch bei der Video-Arbeit Turbo Sculpture eine bedeutende Rolle. Figurative Skulpturen, die sich überall im ehemaligen Jugoslawien finden lassen und die Domanović als Turbo Sculptures bezeichnet, stehen dabei im Mittelpunkt. Im Gegensatz zu Kriegsdenkmälern nehmen diese öffentlichen Monumente keinen Bezug auf eine gemeinsame Geschichte eines spezifischen Ortes oder Ereignisses, sondern basieren auf einer gemeinsamen, modernen Kultur. Anstelle von Kriegshelden, die man als Persönlichkeiten in Monumenten hätte verewigen können, entschied man sich die Stars und fiktiven Helden westlicher Nationen in Bronzen und anderen Materialien zu verewigen. Bruce Lee, Johnny Depp, Rocky Balboa und andere Film-Charaktere oder Personen des öffentlichen Lebens wurden auf diese Weise zu monumentalen Symbolfiguren und Verkörperungen von Werten, mit denen man sich identifizieren sollte. Auch von Winnetou ist eine Skulptur in Planung, die im Plitvicer Seen Nationalpark aufgestellt werden soll, der in den 60er und 70er Jahren bekannter Produktionsort von Karl May Romanverfilmungen war oder als Set für Hollywood Produktionen diente. Populäre Orte und Ereignisse finden sich teilweise in verschiedenen Arbeiten wieder, wie eben der Nationalpark Plitvicer Seen, der als stack produziert wurde und in der Arbeit Turbo Sculpture vorkommt. Die sprachliche Anlehnung des Titels der Video-Arbeit an den Begriff Turbofolk, der Populärmusik in dieser Region, ist bei der Auseinandersetzung mit den Skulpturen Hinweis darauf, dass diese im Tumult politischer Auseinandersetzungen neutral blieben.

Turbofolk als regionale Populärmusik bestand letztendlich nicht nur aus Musik der eigenen Region, es vereinnahmte gleichzeitig auch Volksmusik aus Ländern des Mittleren Ostens und des Mittelmeerraums. In den frühen 1960er Jahren galten klassenlose und staatenlose Gesellschaften als Utopie der Bewegung der Blockfreien Staaten. So traten viele Länder des mittleren Ostens und Afrika, wie Marokko, Syrien oder Pakistan der Bewegung bei, um ihre Neutralität im damaligen Ost-West-Konflikt zu betonen.

Die Einladung der Marrakesch Biennale gab Anlass eine Arbeit zu schaffen, die die Geschichte Ex-Jugoslawiens in Beziehung zur Kultur und Tradition Marokkos setzt. In diesem Zusammenhang realisierte Domanović eine Reihe von neuen Skulpturen mit einer spezifischen Oberfläche, einem für Marokko typischen Tadelakt-Kalkputz. Die Formensprache erinnert stark an die modernistische Formensprache der Monumente in Mittel- und Südeuropa, während die Oberfläche starke Bezüge zur marokkanischen Tradition aufweist. Dabei adaptiert sie die Form des Denkmals dreier in die Luft ragender Fäuste im Bubanj Memorial Park in Niš. von Ivan Sabolić in Serbien, einmal als Wandrelief und als freistehendes Monument für die Marrakesch Biennale 2012. Ersteres präsentiert Domanović in der Kunsthalle Basel mit rotem Tadelakt Putz überzogen neben einer neuen Arbeit, die Bogdan Bogdanović’ Denkmal Partisanen-Nekropole in Prilep, Mazedonien aufgreift. Die Skulpturen erhalten durch die Verwendung dieser traditionellen Technik eine künstliche Patina und machen sie zu einem historisch anmutenden Monument.

Die Skulpturen werden von einem überdimensionalen Portrait begleitet. Das Profil zeigt ein 3D-Rendering einer künstlich erzeugten, weiblichen Version des langjährigen Präsidenten Jugoslawiens Josip Broz Tito, der männlichen Verkörperung dieser Staatengemeinschaft. In jedem Klassenzimmer ihrer ehemaligen Schule hing in der damaligen Zeit ein Portrait des Präsidentenan der Stirnseite des Raumes. Die Ähnlichkeit einer ihrer ehemaligen Lehrerinnen mit der Darstellung Titos greift Domanović auf, überträgt ein bestehendes Portrait in eine computergenerierte, weibliche Darstellung und zeigt sie als großformatiges Profil. Die bewusste Verwendung einer künstlich generierten Messing Oberfläche der Abbildung soll die starke Präsenz hervorheben, die Tito sowohl in Domanović’ persönlicher Erinnerung einnimmt, wie auch die Gemeinschaftserfahrung der Bevölkerung auch noch nach Jahren der Auflösung Jugoslawiens prägt. So betont das Portrait noch einmal wichtige inhaltliche Bestandteile Domanović’ Arbeiten.

Aleksandra Domanović (geboren 1981 in Novi Sad, ehemaliges Jugoslawien) lebt und arbeitet in Berlin, DE.
Domanović studierte an der Fakultät für Architektur an der Universität von Ljubljana und an der Universität
für angewandte Kunst Wien. 2009 nahm sie am Rhizome Commissions Program im New Museum in New
York teil sowie 2011 am Residency Program der Western Front in Vancouver und am Atelier-Programm des
Künstlerhaus Bethanien in Berlin.
Einzelausstellungen (Auswahl): Künstlerhaus Bethanien, Berlin (2012); 19:30, Galerija 001, Ljubljana
(2011); 山寨 (Shanzai) TURBO (mit Oliver Laric), Western Front, Vancouver (2011). Gruppenausstellungen
(Auswahl):
4. Marrakesch Biennale, Surrender, Marokko (2012), In Practice, Sculpture Center, New York
(2012); Banal Inferno, CCA Glasgow (2011), Collect the WWWorld. The Artist as Archivist in the Internet
Age
, kuratiert von Domenico Quaranta, Spazio Contemporanea, Brescia (2011), 10 × 10: Please Close Your
Eyes
, The European Culture Congress, Breslau (2011), Imagine being here now, The 6th Momentum Biennial
2011, Moss, Norwegen (2011), based in Berlin, n.b.k., Berlin (2011); Free, New Museum, New York (2010),
From Abstract to Activism, Eternal Tour, Jerusalem (2010), Surfing Club, Plug.in, Basel (2010);Padiglione
Internet
, zusätzliche Veranstaltung zur 53. Biennale Venedig, S.A.L.E, Venedig (2009), The Real Thing, MU,
Eindhoven, Niederlande (2009); Tomorrow is Humorless, Stedelijk Museum Bureau Amsterdam (2008),
ideomedeja, The Museum of Vojvodina, Novi Sad (2008); Ursula Blickle Videopreis 2007, Kunsthalle Wien
(2007), The Birds Eye View, The Barbican, London (2007).